Vergabemindestlohn – in der Kommune wie im Land

Julia Langhammer und Renate Licht

Vor einem Jahr fasste der Stadtrat von Jena einen Beschluss: Aufträge der Stadt dürfen hier nur noch an Unternehmen erteilt werden, die ihren Beschäftigten nicht weniger als einen bestimmten Mindestbetrag pro Stunde zahlen, entschieden die Volksvertreter*innen. Dieser Betrag orientiert sich an den Tarifverträgen der verschiedenen Branchen, wird jährlich neu berechnet und gilt auch dann, wenn der jeweilige Betrieb selbst gar keinen Tarifvertrag unterschrieben hat. Aktuell sind es 11,96 Euro, "vergabespezifischer Mindestlohn" nennt sich die Sache im Verwaltungsdeutsch, und angeschoben hat es der DGB im Rahmen seines Zukunftsdialog- Schwerpunkts Tarifbindung. Und er ist stolz darauf.

"Auf Landesebene gilt bei uns in Thüringen schon seit 2019 ein vergabespezifischer Mindestlohn. Davon ausgenommen sind nur Bereiche wie das Bauwesen, für die andere, bundesweite Standards gelten. Die Beschäftigten in anderen Branchen, wie zum Beispiel bei Postdienstleistungen, kommen dagegen in den Genuss des neuen Gesetzes", erläutert Renate Licht, DGB-Regionsgeschäftsführerin für Thüringen. "Der Haken daran ist aber: Das Land erteilt nur ein Drittel aller öffentlichen Aufträge. Den deutlich größeren Teil vergeben die Kommunen. Und die sind daran nicht gebunden."

Deshalb habe der DGB vor zwei Jahren alle größeren Städte im Land angeschrieben. "Wir haben darauf hingewiesen, dass der vergabespezifische Mindestlohn freiwillig von den Kommunen übernommen werden kann", erzählt sie. Freundliche oder zumindest sachliche Gespräch gab es daraufhin fast überall. Umgesetzt wurde die Idee allerdings bisher nur in Jena, wo der DGB im engen Kontakt mit den Fraktionen im Stadtrat den gesamten Prozess begleitete und vorantrieb. Und auch hier musste der Erfolg hart erkämpft werden.

"Auch als schon klar war: Es wird eine Mehrheit von Linken, Grünen und SPD im Stadtrat geben, waren noch erhebliche Widerstände zu überwinden. Auch der Oberbürgermeister war dagegen", erinnert sich Julia Langhammer, die in der DGB-Bezirksverwaltung Hessen- Thüringen für Wirtschaftspolitik und Öffentlichen Dienst zuständig ist und selbst jahrelang in Jena im Stadtparlament saß. "Vertreter*innen aus der lokalen Wirtschaft malten regelrechte Schreckensszenarien an die Wand: Niemand würde sich mehr um Aufträge bewerben, und die Unternehmen würden alle pleitegehen. Natürlich ist nichts davon eingetreten."

Wer profitiert in Jena vom vergabespezifischen Mindestlohn? "Die Beschäftigten in den Großküchen zum Beispiel, die für die städtischen Kitas und Schulen kochen", zählt Julia auf. "Die Leute, die im Winter vor den Schulen den Schnee wegschippen. Lokale Postdienstleister, die für die Kommune arbeiten. Servicemitarbeiter*innen, die auf Veranstaltungen der Stadt Getränke und Häppchen servieren. Und zwar auch dann, wenn sie den Job nur als Aushilfe machen."

11,96 Euro sind nicht viel, doch für viele sind gut zwei Euro mehr als der aktuelle bundesweite Mindestlohn eine Menge Geld. "Jena ist die Stadt mit dem höchsten Durchschnittseinkommen in Thüringen. Bei diesem Durchschnitt werden aber alle, die nicht Vollzeit arbeiten, nicht berücksichtigt", sagt Julia. "Unter den Hartz-IV-Empfänger*innen in Jena zum Beispiel ist die Mehrheit berufstätig, verdient aber nicht genug, um davon leben zu können. Deshalb brauchen wir gerade in einer solchen Hochlohnregion wie Jena mit hohen Mieten und hohen Lebenshaltungskosten unbedingt diesen vergabespezifischen Mindestlohn."

Die Mehrheitsfraktionen im Stadtrat wissen den Einsatz des DGB zu würdigen. "In vielen Detailfragen verfügt der DGB über noch ganz andere Kenntnisse als wir, er ist noch ganz anders vernetzt", sagt Lena Saniye Güngör, Fraktionsvorsitzende der Linken im Jenaer Rathaus und zugleich arbeitsmarkt- und gewerkschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Thüringer Landtag. "Wir bauen darauf, dass uns der DGB immer wieder erinnern wird: Wie weit seid ihr mit der Umsetzung des Vergabebeschlusses? Was muss noch passieren, damit wirklich alle Beschäftigten in Jena etwas davon haben?"

Heiko Knopf, der für die Grünen im Stadtrat sitzt und im Januar auch zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden seiner Partei gewählt wurde, ist ebenfalls des Lobes voll. "Der DGB war für uns ein ganz wichtiger Antrieb und Anker", sagt er. "In der Auseinandersetzung um die Vergaberichtlinie gab es ja nicht nur Unterstützung. Es kam auch auf den außerparlamentarischen Raum an, und da war der DGB eine entscheidende Stimme." Für die kommenden Jahre wünscht sich Knopf, dass der DGB eine noch bessere Vernetzung aller Akteur*innen ermöglicht, etwa mit Best-Practice-Beispielen aus unterschiedlichen Kommunen.

Der Thüringer DGB fasst unterdessen neue Ziele ins Auge. "Was bei uns in Jena gilt, muss für alle Aufträge gelten, die in Thüringen von der öffentlichen Hand vergeben werden", sagt Julia. "Wir müssen endlich damit aufhören, mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler Dumping-Unternehmen und schlechte Arbeitsbedingungen zu finanzieren. Die Beschäftigten haben Besseres verdient."

"Wo noch nicht gute Arbeit mit Tarifverträgen und Betriebsräten abgesichert ist, müsse der vergabespezifische Mindestlohn das Mindeste sein", ergänzt Renate. Darüber habe der DGB in der Region in den vergangenen Monaten mit allen Stadt- und Kreisverbänden geredet. "Die Ausweitung des vergabespezifischen Mindestlohnes auf noch viel mehr Kommunen ist einer der Schwerpunkte unserer Arbeit in nächster Zeit. Leicht wird es nicht. Aber ich gehe davon aus, dass es uns gelingen kann."

Hier geht es zu dem Beitrag über Jena in der Multimedia-Reportage über vier Jahre DGB-Zukunftsdialog.