Raus aus dem Stau mit einem Verkehrskonzept von DGB und Betriebsräten in Harburg

Wolfgang Brandt am Bahnhof Harburg

Hier Beitrag als Multimedia-Reportage anschauen.

Der Garten von Wolfgang Brandt ist nicht klein, aber für den Ansturm im August 2020 war er nicht gerüstet: "Insgesamt waren es 14 Leute, da musste doch ein Spargelbusch gekürzt werden", berichtet der pensionierte Lehrer, der seit 2019 den DGB-Stadtverband Hamburg Harburg als stellvertretender Vorstandsvorsitzender mit aufbaut. Die vielen Besucher*innen waren nicht nur wegen des alljährlichen DGB-Sommerfestes gekommen – auf dem Plan stand auch die Diskussion über ein brennendes Thema: Der Verkehr in Harburg, und welche Lösungen die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter hier erarbeiten könnten.

Denn über den Knotenpunkt Hamburg-Harburg, den ersten größeren Bahnhof südlich der Elbe und damit Einfallstor ins Zentrum der Hansestadt, pendeln täglich Tausende Beschäftigte in die und aus der Stadt; nicht nur aus anderen Stadteilen, auch mit dem Regionalexpress aus Stade, aus dem Westen, aus dem Süden, aus dem Südosten. "Und alle treffen hier aufeinander. Zur Rushhour sind die S-Bahnen völlig überfüllt. Jetzt sollen hier im Süden auch noch 4000 Wohnungen entstehen. Wir brauchen eine Lösung", sagt Brandt. Als der DGB-Bezirk das Thema Mobilität für den Zukunftsdialog vorschlug, griff Brandt mit seinen Kolleginnen und Kollegen zu.

Umfrage unter Betriebsräten zeigt: Auto wichtigstes Verkehrsmittel

Zusammen mit einer Consultingfirma entwickelte der DGB-Stadtverband einen Fragebogen zur Mobilität, der mithilfe der Einzelgewerkschaften an zahlreiche Betriebsräte versandt wurde. Die Resonanz war groß. Fast 100 Betriebs- und Personalrät*innen aus unterschiedlichen Branchen, unterschiedlichen Betriebsgrößen und Standorten antworteten – und zeigten das Problem: Bei 60 Prozent der Betriebe war das Auto wichtigstes Verkehrsmittel. Und das, obwohl Betriebe häufig den Arbeitsweg mit öffentlichen Verkehrsmittel bezuschussen. Aber hohe Ticketpreise oder schlechte Taktung lassen die Pendler*innen weiter Auto fahren.

"Unsere Frage für den Zukunftsdialog war: Wie kommen Beschäftigte zur Arbeit? Wie kann das besser organisiert werden?", sagt Brandt. So wie bei den Hafenbetrieben, die schlecht mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen sind. Das Fahrrad ist hier keine Alternative – denn hier gelten Schichtdienste und Nachtdienste: Da fährt niemand mit dem Rad.

Gewerkschafter*innen erarbeiten schnelle Lösung für Pendel-Problem

Neu ist das Mobilitätsproblem nicht, auch im Hamburger Senat kennt man es. Und es gibt auch eine Lösung: Eine neue Elbquerung, also eine neue S-Bahn, die entlastet. Nur ist das ein milliardenschweres Projekt, wofür unter anderem ein neuer Tunnel gebaut werden muss. "Bis das fertig ist, dauert es mindestens 20 Jahre", weiß Brandt. Bis dahin müsse eine schnellere Lösung her, und die erarbeiteten die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf einer Online-Konferenz im Februar dieses Jahres: Die Ertüchtigung der S-Bahn, mit einer höheren Taktung, längeren Zügen und einer Digitalisierung, die einen 5-Minuten-Takt erlaubt. "Natürlich gibt es auch hier Probleme – sieht der Fahrer die Signale noch, wenn der Zug so lang ist, klappt es mit der Stromversorgung, wenn mehr Züge fahren. Aber im Vergleich zu dem Großprojekt neuer Elbtunnel sind diese Probleme in einem akzeptablen Zeitraum lösbar", sagt Brandt. Und: Für finanziell schwächere Einwohner*innen müsse es ein neues Tarifsystem geben, mit günstigeren Tickets und Jobtickets.

Schon die Fragebogenaktion sorgte für ordentlich Öffentlichkeit: Der im Juni 2020 neu eingesetzte Verkehrssenator Anjes Tjarks erfuhr von den Ergebnissen und bot sofort ein Gespräch an. "Wir sind in den Forderungen gar nicht so weit auseinander", beschreibt Brandt das Gesprächsergebnis. Die Aktion des DGBs ist damit Rückenwind und Druck zugleich in der Politik.

DGB-Stadtverband wächst

Besonders erfreulich für den Stadtverband: Die intensive Zusammenarbeit und Unterstützung der Einzelgewerkschaften. "Es geht um alle Beschäftigten, aus allen Branchen. Das ist damit ein echtes DGB-Projekt", sagt Brandt. Der 72-jährige Pädagoge, der unter anderem auch Politik unterrichtet hat, freut diese Unterstützung besonders. Er ist zwar seit über 25 Jahren in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aktiv, und schult bis heute Personalrät*innen in ihrer Arbeit, aber er hat auch Betriebspraktika in der Industrie gemacht und interessiert sich sehr für Industriethemen.

Jetzt wurden die Forderungen auf einer Konferenz mit Verkehrssentator Anjes Tjarks vorgestellt. Für Brandt ist das Projekt ein Beispiel, was man zusammen erreichen kann. "Wir wachsen langsam wieder im Stadtverband. Und wir hoffen, dass mit dem Projekt noch mehr zu uns kommen, und bei weiteren Projekten mitmachen, wie beim Mietendeckel".

Auch in Rostock und beim Timmendorfer Strand setzt sich DGB für besseren Verkehr ein

Im DGB-Bezirk ist es dabei nicht bei diesem Mobilitätsprojekt geblieben. Im Norden, beim Timmendorfer Strand, soll die Bäderbahn 2028 eingestellt werden, die mehrere Ostseebäder mit Lübeck verbindet. An ihre Stelle soll eine neue Bahnlinie zwischen Hamburg und Puttgarden treten – aber die Bäder wären nicht mehr angeschlossen, die Trasse führt vorbei. Aber die Bäderbahn wird gebraucht – der DGB-Kreisverband Ostholstein plant deswegen ebenfalls eine Befragung der Beschäftigten, und kooperiert mit der Aktivgruppe Timmendorfer Strand und der Bürgerinitiative Pro Bäderbahn, die für den Erhalt der Trasse kämpfen. Ein kurze Strecke weiter östlich beschäftigt die Gewerkschafter*innen ebenfalls das Thema Mobilität: Nahe Rostock soll diskutiert werden, wie der zunehmende Individualverkehr von Pendler*innen mittels Nahverkehrsideen reduziert werden kann. Immer im Blick: die Beschäftigten sollen befragt werden, und gemeinsam Lösungen erarbeitet werden.

Hier geht es zu dem Beitrag über Hamburg-Harburg in der Multimedia-Reportage über vier Jahre DGB-Zukunftsdialog. 

Text: Maike Rademaker