Kostenloses Schulessen muss anständig bezahlt werden

Sebastian Riesner vom NGG und Laura Pinnig von der GEW in einer Schulmensa in Berlin

Nichts geht über einen guten Tarifvertrag, und wenn dann noch engagierte Betriebs- oder Personalräte darüber wachen, dass er auch eingehalten wird – umso besser. Was aber tun, wenn es an beidem fehlt? Und nicht nur in einem oder zwei kleinen Betrieben, sondern in einer ganzen Branche? Mit Abertausenden Beschäftigten? In einem ganzen Bundesland?

Dann hilft immer noch eines: Solidarität. Den Beweis dafür erbrachte in Berlin der DGB-Kreisverband Mitte mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und der Bildungsgewerkschaft GEW. Sie sahen sich im Rahmen des DGB-Zukunftsdialogs aus der Nähe an, wie es eigentlich um diejenigen bestellt ist, die Tag für Tag die Essenversorgung in den Schulen der Hauptstadt garantieren. Wie wichtig ihre Arbeit für die Gesellschaft ist, muss man niemandem erklären. Wie aber sind die Arbeitsbedingungen bei den Caterern? "Eher mies", urteilt Laura Pinnig, Grundschullehrerin, GEW-Mitglied und ehrenamtliche Aktivistin im DGB-Kreisverband Mitte. "Es sind vor allem Frauen, die das Essen ausgeben. Die meisten von ihnen sind in Teilzeit beschäftigt. Viele sind ungelernt. Viele haben eine Migrationsgeschichte. Viele sind alleinerziehende Mütter. Viele bekamen gerade mal den Mindestlohn. Mit guter Arbeit‘, wie wir es als Gewerkschaften verstehen, hat das nichts zu tun."

Schul-Catering – das ist an nicht wenigen Orten in Berlin die Sache von kleinen Anbietern, die in diesem oder jenem Oberstufenzentrum oder Gymnasium die Cafeteria betreiben. "Manchmal sind es Familienunternehmen, nicht selten operieren sie am Rande der Selbstausbeutung", konstatiert sehr sachlich Sebastian Riesner, der in der NGG für den Bereich Hotel und Gaststätten und damit auch für die Schulcaterer zuständig ist.

Die dominierenden Player auf dem Markt aber sind andere: Eine Gruppe von nur 20 oder 25 Unternehmen, die ihre Königsberger Klopse und Gemüsebrätlinge in zentralen Großküchen zubereiten und dann an Schulen im ganzen Stadtgebiet ausliefern. "Sie machen das Gros der Ausschreibungen unter sich aus", sagt Sebastian. "Und bei ihnen haben wir angesetzt."

Die erste Herausforderung bestand darin, überhaupt einen belastbaren Kontakt zu den Beschäftigten an der Essenausgabe in den Schulen herzustellen. "Alleine hätten wir das als NGG kaum hinbekommen. Deshalb haben wir sehr gern die Hilfe der GEW angenommen, die über ihre Vertrauensleute und Personalräte in den Schulen gut verankert ist", erklärt Sebastian.

Zum Internationalen Frauentag 2020 gingen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in die Schulmensen und sprachen die Betroffenen direkt an. "Wir hatten als DGB kleine Beutel mit Informationsmaterialien und ein paar Süßigkeiten zusammengestellt und dachten, wir müssten jetzt ganz viel erklären – Tarifvertrag, Tariflohn, all diese Dinge", erzählt Laura. "Aber wir hatten uns kräftig verschätzt. Die Frauen wussten sehr genau Bescheid!"

Nur wie es anders werden könnte – das wussten sie nicht. "Sie sagten uns: 'Wir drei oder vier allein gegen den Chef? Da erreichen wir gar nichts'", berichtet Laura. Noch ein anderer Gedanke schwirrte in vielen Köpfen herum: "Immer wieder hörten wir: 'Ich kann doch nichts anderes, ich kriege nie eine andere Stelle'. Sie steckten in einem regelrechten Abhängigkeitsverhältnis."

Weitere Aktionen in den Schulmensen waren schon geplant, die Flyer waren schon gedruckt, da brach die Corona-Pandemie über das Land herein und mit ihr das Home-Schooling. Die Frauen im Catering, die keine Festanstellung hatten, wurden in der Regel nicht weiterbeschäftigt. Anspruch auf Kurzarbeitergeld oder andere Corona-Hilfen hatten sie nicht. "Sie rutschten einfach durch das soziale Netz", so Laura.

Doch die Gewerkschaften legten auch jetzt nicht die Hände in den Schoß, sondern sie nahmen Kurs auf die Zeit nach Corona. Sie wurden beim Regierenden Bürgermeister, bei der Senatsbildungsverwaltung, bei den bezirklichen Vergabestellen vorstellig. "Berlin hat bekanntlich ein Vergabegesetz, das festlegt: Jedes Unternehmen, das von der Stadt einen Auftrag erhalten will, muss seinen Beschäftigten zumindest den Vergabemindestlohn zahlen – momentan noch 12,50 Euro pro Stunde, in Kürze werden es 13 Euro sein", erklärt Sebastian. "Wir hatten jedoch festgestellt, dass viele Ausschreibungen das nicht berücksichtigten. Also hakten wir nach und ließen uns auch nicht mit vorgeschobenen Begründungen abspeisen."

Es geht um geltendes Recht, und es geht darum, wie eine Stadt soziale Gerechtigkeit buchstabiert. "In Berlin ist seit 2019 die Schulspeisung bis zur 6. Klasse für die Familien umsonst, und das ist gut so. Doch gerade weil hier Steuergelder eingesetzt werden, haben wir die Pflicht, damit nicht nur einen hohen Bio-Anteil im Essen, sondern auch anständige Arbeitsbedingungen zu finanzieren", betont Sebastian. "Menschen müssen von ihrer Hände Arbeit leben können. Dazu gehört nun mal auch, dass niemand weniger als diese 12,50 oder in Bälde 13 Euro pro Stunde in der Lohntüte hat."

Der vom DGB und den Mitgliedsgewerkschaften aufgebaute Druck wirkte: Laufende Ausschreibungen wurden zurückgezogen, es wurden neue Vergabeverfahren angeschoben. "Wir haben dafür gesorgt, dass der Vergabemindestlohn tatsächlich bei allen Beschäftigten ankommt. Ohne uns hätte das noch Jahre gedauert", sagt Sebastian.

Auch innerhalb der Gewerkschaften hat sich etwas verändert. "NGG und GEW haben auf den ersten Blick kaum Schnittmengen, auch die tariflichen Gehaltsunterschiede sind riesig", sagt Laura. "In der Kampagne für die im Schul-Catering Beschäftigten aber haben wir Seite an Seite gestanden und kooperativ zusammengearbeitet. Koordiniert hat das der DGB. Wir haben auch hier gezeigt, wofür der DGB gut ist."

Hier geht es zu dem Beitrag über Berlin in der Multimedia-Reportage über vier Jahre DGB-Zukunftsdialog.