Eine Stimme für die Berufspendler*innen

Maren Diebel-Ebers vom DGB Baden-Württemberg und stellvertretender Personalratsvorsitzender vom Klinikum Silvio Härtling

Heidelberg, 8 Uhr früh an einem kalten Dienstagmorgen im Corona-Winter 2022. Eine scheinbar endlose Schlange von Autos schleicht über die Ernst-Walz-Brücke über den Neckar in Richtung Neuenheimer Feld. Busse stecken fest, auch eine Feuerwehr und mehrere Krankenwagen kommen nur im Schritttempo voran, zum Glück sind sie nicht im Noteinsatz. Fahrradfahrer*innen fädeln sich vor der Ampel auf wie in einer Kette. Straßenbahnen warten darauf, dass es irgendwann weitergeht. Stop and Go, Stop and Go. "Hätten wir nicht so viele Leute im Homeoffice, es wäre noch viel voller um diese Zeit", ruft Maren Diebel-Ebers, und sie muss ihre Stimme anstrengen, um den Verkehrslärm zu übertönen. "So kann es einfach nicht bleiben."

Maren war jahrelang DGB-Regionssekretärin für die Kreisverbände Heidelberg/Rhein-Neckar und Neckar- Odenwald, ehe sie Ende Januar zur stellvertretenden DGB-Bezirksvorsitzenden in Baden-Württemberg gewählt wurde. Mit Mobilität, genauer: dem Berufsverkehr in Heidelberg, befassen sie und ihre Kolleg*innen sich seit 2018 sehr intensiv – und mit so viel Erfolg, dass der DGB-Bezirk ihr Projekt zu einem "Leuchtturm" im Zukunftsdialog erklärte. Ein Vorbild, das weit über die Stadt hinaus auszustrahlen vermag.

Um zu verstehen, warum der Berufsverkehr hier so ein Problem ist, hilft ein Blick auf die Karte. Der größte Teil des Stadtgebietes von Heidelberg liegt auf dem linken Neckar-Ufer, das Neuenheimer Feld aber auf dem rechten, und ausgerechnet dort sind die größten Arbeitgeber der Stadt ansässig: das Universitätsklinikum, die medizinische und die naturwissenschaftlichen Fakultät der traditionsreichen Universität, ein großes Verlagshaus und das Deutsche Krebsforschungszentrum. Wer aus der Stadt oder aus dem südlichen und westlichen Umland dorthin zur Arbeit oder zum Studium gelangen will, muss über die Ernst-Walz-Brücke. Am Ziel ist er oder sie damit allerdings immer noch nicht. Denn spätestens vor der Kopfklinik an der Straße Im Neuenheimer Feld wartet sofort eine zweite Staufalle. Was also tun?

"Wir haben uns als erstes mit den Betriebs- und Personalräten im Neuenheimer Feld in Verbindung gesetzt, eine gemeinsame Projektgruppe gegründet, die Probleme analysiert und pünktlich zur Kommunalwahl 2019 unsere Forderungen öffentlich gemacht. Wir haben, wie man so schön sagt, 'ein Thema gesetzt'", berichtet Maren. "Der DGB war der einzige, der sich darum gekümmert hat", bestätigt Silvio Härtling, stellvertretender Personalratsvorsitzender im Klinikum. "Als Maren auf uns zukam, haben wir sofort mitgemacht."

Was für Verbesserungen schlägt der DGB vor? "Wir brauchen Direktverbindungen ins Neuenheimer Feld mit Bussen vom Bahnhof und aus dem Umland", sagt Silvio. "Sichere Abstellplätze für die Fahrräder. Eine Straßenbahn oder zumindest weitere Buslinien. Überdachte Bushaltestellen. Zusätzliche Radwege. Park-and-ride- Plätze im Süden der Stadt. Für die Fußgänger muss die Beleuchtung der Wege verbessert werden – das ist gerade für unsere Schichtarbeitenden am Abend oder am frühen Morgen besonders wichtig. Und irgendwann muss auch eine weitere Neckar-Querung gebaut werden, über die schon so lange diskutiert wird."

Hätten die Stadtverwaltung und die lokalen Parteien nicht selbst auf diese Ideen kommen können, ja: müssen? Theoretisch schon, erklärt Maren. Doch es waren eben überwiegend "nur" die Probleme von Pendlerinnen und Pendlern – von Menschen also, die in ihren Heimatgemeinden zur Wahl gehen, aber in der Stadt keine eigene Stimme haben. "Heidelberg hat an die 160.000 Einwohner, aber zusätzlich kommen 64.000 Berufspendlerinnen und -pendler zur Arbeit her. Vier-und-sechzig-tausend! Ihnen haben wir gesagt: Wir als Gewerkschaften wollen euch helfen, wir wollen auch eure Stimme sein."

Mittlerweile geht es voran, in kleinen Schritten zwar, aber es tut sich etwas. Die Kommune hat ein Paket von 30 Sofortmaßnahmen zur lokalen Verkehrsentwicklung beschlossen, in das auch Vorschläge der Gewerkschaften eingeflossen sind. Sogar die Straßenbahnlinie ins Neuenheimer Feld soll nun tatsächlich kommen. Im Masterplanverfahren, dem die Entscheidungen über dieses Areal fallen, können jetzt auch die Beschäftigten über ihre Betriebs- und Personalräte direkt mitreden. Der Einsatz des DGB zahlt sich aus.

Besonders froh ist Maren darüber, dass die Stadt mit den großen Arbeitgebern im Neuenheimer Feld eine Kooperationsvereinbarung zum betrieblichen Mobilitätsmanagement abgeschlossen hat. Was sich hinter dem umständlichen Begriff verbirgt, erläutert sie in ganz einfachen Worten: "Uns ist klar, dass nicht jeder vom PKW aufs Fahrrad umsteigen kann. Die Krankenschwester im Schichtdienst, die weit draußen wohnt, wird auch in Zukunft das Auto nehmen, und das ist auch in Ordnung. Aber den Kollegen, die hier in der Nähe wohnen, muss man zeigen, dass das Fahrrad für sie eine echte Alternative sein kann. Dafür muss man ihnen auf der Arbeit einen Spind zur Verfügung stellen, eine Dusche. Man muss ihnen einen echten Anreiz bieten und den Rahmen, sich mit der eigenen Mobilität und möglichen Alternativen auseinanderzusetzen. Genau das ist betriebliches Mobilitätsmanagement!"

Der Heidelberger DGB hat den Fokus des Projekts inzwischen ausgeweitet und arbeitet an Verkehrskonzepten für die ganze Stadt statt nur fürs Neuenheimer Feld. Und noch einen weiteren Effekt hat der Zukunftsdialog hier gebracht: Der Kreisverband ist richtig auf Touren gekommen. "Durch den Zukunftsdialog haben wir viele neue Aktive gewonnen, die heute im DGB mitarbeiten", sagt Maren. Auch Silvio Härtling ist jetzt ehrenamtlich im Vorstand mit dabei.

Hier geht es zu dem Beitrag über Heidelberg in der Multimedia-Reportage über vier Jahre DGB-Zukunftsdialog.